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Mineralität

von Andrew Holloway Februar 12, 2025 3 min lesen.

Konrad Salwey hält ein Stück Vulkanboden.

Was heisst Mineralität?

Ich war diesen Sommer in meiner örtlichen Weinbar als ein junger, stark tätowierter Mann, im „Normcore“-Look, fragte nach einem Wein mit mehr Mineralität. Mein erster Gedanke war, zu fragen, ob Men's Health kürzlich einen Artikel über den Weinkauf geschrieben hatte. Meine Frau erinnerte mich sanft, aber bestimmt daran, daß die Leute heute ihre Informationen aus Podcasts beziehen. „Ah so, Podcasts“, sagte ich und sah endlich das Licht. 

Man hört immer wieder und immer öfter die Begriffe „mineralisch“ oder „Mineralität“. Diese sind sozusagen in aller Munde. Ich selber habe es auch schon benutzt. Aber was ist damit gemeint? Wenn man konsequent jeden fragen würde, was er oder sie mit Mineralität meint, würde man, denke ich, ziemlich verschiedene Antworten bekommen. Als ich es benutzt habe, hatte ich ein schönes Bild im Kopf von einem mikroskopisch feinen kristallinen Eindruck, der nicht fruchtig war, aber irgendwie steinig im Mund und wie Bachkiesel rüberkam. Lehnt man auf diese Assoziation ein paar bekannte Faktoide aus der Bodenbeschaffenheit einzelner Regionen, zum Beispiel der Blauschiefer von der Mosel, haben plötzlich und fast glaubhaft alle Schiefer im Mund, Schiefer in der Nase, eine grandiose Mineralität und deren Superlativ, „salzig“.

Leider alles Quatsch aus sensorischer Sicht. Jeder Boden besteht zum Teil aus Mineralien. Es gibt aber keinen Stoffwechselpfad in der Rebe, der die Mineralien gänzlich in die Trauben transportiert – und das auch noch in einer Konzentration, die man riechen könnte. Die Mineralien im Boden gelangen nicht direkt in die Traube oder den Wein in ihrer elementaren Form. Sie werden in Form von Ionen absorbiert und tragen eher zur Ernährung der Rebe als zur Zusammensetzung des Weins bei. Der menschliche Geschmacks- und Geruchssinn ist eher auf organische Verbindungen (z. B. Ester, Terpene) als auf anorganische Elemente eingestellt. Wir können den Blauschiefer von dem grünen geschmacklich nicht unterscheiden, geschweige denn riechen. Auch die rote Erde der Rheinfront hat keinen Geschmack. Den Boden selbst kann man im Wein weder direkt riechen noch schmecken, auch wenn Terroir als eine Plexus von Phänomenen wirklich fassbar ist. Vielleicht bin ich zu borniert, indem ich versuche, den tautologischen Unterschied zwischen zwei Behauptungen zu erzwingen, nämlich „Ich erkenne den Weinberg, der mit Schiefer bedeckt ist“ und „Ich schmecke den Schiefer im Weinberg“. 🍷

Egal. Ob semantisch oder substanziell: den Schieferstein kann man nicht riechen. Der Stein ist nicht im Glas, sondern im Kopf. 

Genauer gesagt: in der Nase. Denn ab genau 24 Gramm pro Liter zuckerfreiem Extrakt ist der Mensch physiologisch in der Lage, mittels eines sogenannten „Nosefeel“ Mineralität zu erkennen. Zucker-freier Extrakt ist das, was zurückbleibt, wenn man dem Wein das Wasser entzieht. Er besteht zum Teil aus Mineralien. Dieser vorhandene Extrakt „belegt“ die vorderen Nasenschleimhäute, aber nicht die Aromarezeptoren. Es wird also etwas in der Nase empfunden, aber nicht gerochen. 

Auf den Zähnen kann man eine gewisse Seidigkeit empfinden. Der angenehme Empfindung von Mineralität hängt von der Menge vorhandene Säure, ob im Wein oder in Speisen, ab. Stehen Salz (Mineralität) und Säure in Balance, wirkt es appetitlich und komplex. Ein sehr mineralischer Wein wird von säurehaltiger Speise chemisch gepuffert. Der Säure leistet gegen der Salz Widerstand, sozusagen. Analog kann einen sauren Wein, sprich ein Wein mit viel Säure und wenig Extrakt (Mineralität), kann mit einem salzigen Speise gepuffert werden. Gute Winzer, gute Köche und Sensoriker, wissen wie das geht. Sie wissen, was sie tun müssen, damit wir alle schreien: „wie lecker!“ Mineralität ist alles in einem Wein, was nicht fruchtig, würzig oder krautig ist. Die spezifische Mineralität hilft uns, die Herkunft des Weins zu identifizieren. Wenn wir uns darin üben, den Kimmeridge-Ton wahrzunehmen, können wir erkennen, ob der Chardonnay im Glas tatsächlich aus Chablis stammt oder der Sauvignon Blanc aus Sancerre. Wir schmecken zwar nicht den Schiefer selbst, aber es gibt bestimmte wiederkehrende Merkmale in der Mineralität von Weinbergen mit Schieferböden.

🍷  Besitzen wir die sensorische und bewertende Expertise, die nötig ist, um die Weine des Médoc und die des rechten Ufers von Bordeaux zuverlässig und konsequent voneinander zu unterscheiden? Können wir Cabernet Sauvignon leicht von Cuvées aus Merlot und Cabernet Franc unterscheiden? Verstehen wir auch die geologischen Unterschiede zwischen den Regionen – den Kies und Quarz des Médoc mit seinen „Croupes,“ diesen einzigartigen Hügeln aus Quarzit, Granit und Schiefer, im Gegensatz zum Ton und Kalkstein des rechten Ufers, durchsetzt mit Taschen aus Kies und Sand? Sind wir bereit, dieses Wissen auf unsere sensorische Erfahrung zu projizieren und zu behaupten, wir könnten nicht nur das Terroir erkennen, sondern sogar den Kies „schmecken“? Wäre das nicht ein wunderbares Beispiel für zirkuläres Denken und Bestätigungsfehler? In der formalen Logik hat dieser Fehlschluss bislang keinen Namen. Falls jemand einen Vorschlag machen möchte für die rekursive Zuschreibung von Wissen zu wahrgenommenen Phänomenen – die Vermischung von Bekanntem und Beobachtetem zum Nachteil des objektiven Verständnisses – dann lasst uns das gemeinsam benennen.